Herkunft der Familie
Leib Wolf Herbstmann (Obstfeld) wurde am 16. April 1886 in Gorlice, Polen, als Sohn von Izaac Obstfeld und einer unbekannten Mutter geboren. Er hatte zwei Geschwister, Hersch und Jozef. Sein Vater Izaac heiratete in zweiter Ehe Ella Herbstmann und sie hatten sechs weitere Kinder.
Feiga Sara Zins wurde am 30. August 1884 in Nowy Sacz, Polen, als Tochter von Leib Zins und Esther Liebe Schwalb geboren. Feiga war das älteste von neun Kindern.
Feiga und Leib Wolf heirateten am 1. Adar 5668 (3. Februar 1908) in Nowy Sacz, Galizien (heutiges Polen).
Ihre älteste Tochter, Ester Liebe Herbstmannn, genannt Erna, wurde am 14. April 1909 in Nowy Sacz geboren.
Das Leben in Fulda
Als Erna nur wenige Monate alt war, wanderte die Familie nach Deutschland aus. Ihr zweiter Sohn, Heinrich (Henri), wurde bereits in Karlsruhe geboren.
Die Familie ließ sich am 25. Mai 1911 in Fulda nieder.
In Fulda brachte Feiga vier weitere Kinder zur Welt:
Maurice / Moritz (geboren am 27. Januar 1913),
Robert / Benno Baruch (geboren am 10. Juni 1918),
Tauba / Toni (geboren am 30. Juni 1915) und
Paul / Pinkhas (geboren am 28. Dezember 1923).
Es ist nicht bekannt, warum oder wann Leib seinen Namen von Obstfeld in Herbstmann änderte. In Ernas Geburtsregister von Nowy Sacz unterschrieb er noch mit Leib Wolf Obstfeld, aber in seiner Ketubah (das traditionelles jüdische Heiratsdokument, das die Verpflichtungen eines Mannes gegenüber seiner Frau festschreibt und Vorkehrungen für ihren Schutz im Falle einer Scheidung oder des Todes ihres Mannes trifft; das religiöse Äquivalent zum gegenwärtigen Ehevertrag) mit Herbstmann. Herbstmann war der Name seiner Stiefmutter.
Leib war Kaufmann und sein Bruder Hirsch Obstfeld Uhrmacher. Sie alle lebten in dem dreistöckigen Haus in der Kanalstraße 13, in dem sich das Geschäft befand.
Die Herbstmanns waren eine streng religiöse Familie.
Eine von Feigas Schwestern, Jochwett Zins (von ihrer Familie Yetta oder Yetti genannt), kam als 13jähriger Teenager aus Nowy Sacz nach Fulda und lebte von 1911 bis 1914 mit der Familie ihrer Schwester zusammen.
1914 wanderte sie in die USA aus, wo sich bereits einige ihrer Geschwister niedergelassen hatten. Einige der Zins-Cousins sagten, dass das Leben im Zins-Haus in Nowy Sacz für die Kinder nicht einfach gewesen sei. Leib Zins heiratete erneut und die zweite Frau wollte seine Kinder nicht im Haus haben, weil sie alle „erwachsen“ waren, also gingen sie nach und nach in die USA. Sie waren von Feiga, der ältesten, aufgezogen worden, seit ihre Mutter bei der Geburt gestorben war. Yetta war die letzte die in die USA ging.
Meine Großmutter Erna sprach immer sehr gerne über ihre Zeit in Fulda. Es waren glückliche Zeiten für die Familie. Nachdem sie im Alter von nur wenigen Monaten umgezogen war, betrachtete sie sich als Deutsche und Fuldaerin. Deutsch ist die Sprache, die sie sprechen gelernt hat und in der sie ihre gesamte schulische Ausbildung erhalten hat. Sie stand der Familie von Moshe Yehuda und Necha Herbstmann sehr nahe.
Claudia Zimmer, Enkelin von Erna Leistner, geb. Herbstmann
Die Jahre in Frankreich – Holocaust
Die Herbstmanns verließen Fulda am 8. November 1932 und ließen sich in Frankreich nieder. Zuerst in Gerardmère, dann in Épinal in den Vogesen in der französischen Freizone. Sie arbeiteten mit Textilien. Paul ging zur Schule und arbeitete als Zimmermann. Maurice und Benno traten in die französische Armee ein. 1938 musste die Familie von Épinal nach Clermont-Ferrand ziehen, einer Art Ghetto des Vichy-Regimes.
Henri
Henri, ein Chasan (Kantor) und Professor für Philosophie, aber auch ein talentierter Zeichner, ließ sich nach der Heirat mit Frida Sussman in Vichy nieder. Mit dem Beginn der jüdischen Verfolgung verlor er seine Anstellung als Chasan und schloss sich seinen Schwiegereltern an. Er hatte eine Gravurwerkstatt. Nachts ging er mit seinen beiden Schwagern Roland und Jacques in die Druckerei (Imprimerie G. Collon), in der sie für den Widerstand arbeiteten. Meine Großmutter (Erna) sagte uns, er sei ein bemerkenswerter Fälscher gewesen.
Benno Baruch/Robert
Nach dem Verlassen der Armee war Benno auch Teil des französischen Widerstands unter dem Pseudonym Robert Fournet.
Benno wurde wahrscheinlich erschossen. Er wurde am 15. Mai 1944 nach Kaunas (Litauen) oder Reval (Estland) deportiert. In Bezug auf diesen Konvoi Nr. 73 vom 15. Mai 1944 schreibt Serge Klarsfeld im Denkmal für die Deportation der Juden Frankreichs: “Von diesen 878 Männern sind nur zwölf im Alter zwischen 12 und 17 Jahren. Die anderen sind in der Blüte ihres Lebens. Aus dem Jahr 1944 sind nicht viele Dokumente über die antijüdischen Aktionen der Gestapo bekannt, aber diese ausschließliche Anwesenheit von Männern deutet darauf hin, dass es sich bei dieser Deportation um eine Vergeltungsmaßnahme der Deutschen handelt.” Laut Ève Line Blum-Cherchevsky wurden diese Männer nach Kaunas (Litauen) oder Reval (Estland) deportiert, um die Spuren früherer Massaker zu beseitigen. Als unliebsame Zeugen wurden sie anschließend ebenfalls ermordet.
Maurice
Maurice war noch in der französischen Armee und wurde in drei verschiedenen Stalag (Stammlagern) eingesperrt, konnte aber aus jedem entkommen, bevor er erneut verhaftet wurde. Wahrscheinlich hat er deshalb überlebt und ist später nach Vichy zurückgekehrt, um die verschwundenen Familienangehörigen zu suchen.
Erna
Mein Onkel Samuel wurde in Gerardmère geboren, und meine Mutter Roseline in Épinal, bevor die Familie gewaltsam nach Clermont-Ferrand verlegt wurde. Ernas Ehemann (mein Großvater Efraim Leistner) wurde verhaftet und in verschiedene Arbeitslager (Muriac und dann Nebousat) gebracht. Erna ließ die Kinder bei nichtjüdischen Bauern im Versteck zurück und überlebte mit gefälschten Papieren.
Feiga, Leib Wolf, Paul und Henri
Feiga, Leib Wolf, Paul und Henri mit seiner Familie (Frau Frida, geb. Sussmann und die beiden kleinen Kinder, Maurice und Leon) wurden in Drancy interniert und später nach Auschwitz Birkenau deportiert, wo sie alle ermordet wurden. Henri entkam zunächst, als seine Frau und seine Kinder nach Drancy geschickt wurden, wurde aber später verhaftet und ebenfalls ins französische Sammellager gebracht.
Das letzte Lebenszeichen von Paul
Cher Henri,
comme tu le sais déjà nous sommes partis. Pour le moment le moral est bon. Nous partons à Drancy. Pour le moment nous dans le train pas loin de Paris. Dans l’ésperance de bientot tous vous revoir en bonne santé. Je vous embrasse bien fort aussi que papa et maman.
Paul
Lieber Henri,
wie du bereits weisst, sind wir weg. Im Moment ist die Moral gut. Wir fahren nach Drancy. Im Moment sind wir im Zug nicht weit von Paris. In der Hoffnung, euch alle bald bei guter Gesundheit zu sehen, umarme ich euch ebenso wie Mama und Papa.
Paul
Nach dem Krieg
Erna
Mein Großvater Froim (Efraim) starb ungefähr ein Jahr nach der Befreiung des Lagers im Jahr 1944. Erna begrub ihn in Clermont-Ferrand und wanderte dann nach Brasilien aus und ließ sich mit ihren beiden Kindern in Porto Alegre im südlichsten Bundesstaat Rio Grande do Sul nieder. Roseline heiratete und hatte drei Kinder. Sie starb 1993 an Brustkrebs. Sami heiratete und hatte zwei Kinder. Er starb 1993 an einem Herzinfarkt. Nachdem Erna ihre beiden Kinder begraben hatte, starb sie 2002 im Alter von 93 Jahren.
Maurice
Maurice überlebte den Krieg und ließ sich mit seiner belgischen Frau Laure Mahler in Antwerpen, Belgien, nieder. Sie haben zwei Kinder, Sylvain und Solange. Sylvain lebt immer noch in Belgien, Solange in Israel.
Toni
Toni, ihr Ehemann Joseph Newman (der auch in der französischen Armee diente) und Tochter Marceline wanderten 1953 in die USA aus und ließen sich in Cleveland, Ohio, nieder. Marceline heiratete Sam Newmark und hatte vier Kinder. Nach Sams Tod zog Marceline nach Israel, wo zwei ihrer Kinder wohnen.
Aufgezeichnet von Claudia Zimmer, Enkelin von Erna Leistner, geb. Herbstmann und Tochter von Roseline.
Vielen Dank außerdem an die Familie Claudia Zimmer für die Bereitstellung der Bilder und Dokumente.